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16.10.2012
Heggbacher Wohnverbund

„Menschen nicht nur nach ihrem Nutzen beurteilen“

HEGGBACH – Vor 125 Jahren haben die Franziskanerinnen von Reute damit begonnen, in Heggbach Menschen mit Behinderung ein Zuhause zu geben. Dieses Jubiläum hat die St. Elisabeth-Stiftung am 12. Oktober in Heggbach mit einem Gottesdienst und einem anschließenden Festakt mit rund 150 geladenen Gästen gefeiert.

„Wo wir in den Arm genommen werden, ist Gott unter uns“, Bischof Dr. Gebhard Fürst schlug in seiner Predigt im Festgottesdienst einen Bogen vom Heiligen Franziskus zum Wirken der Franziskanerinnen von Reute in Heggbach: „Von Gott geht ein Segen aus – über Franziskus zu uns Menschen.“ Das Tau, das Symbol der Franziskanerinnen, stand im Mittelpunkt des Gottesdienstes: Die Franziskanerinnen selbst und Einrichtungen des Heggbacher Wohnverbunds, des Heggbacher Werkstattverbunds sowie der Bereich Wohnen und Begleiten und die Schule St. Franziskus Ingerkingen hatten in den vergangenen Monaten jeweils ein solches Tau gestaltet und mit in den Gottesdienst gebracht. „Das Tau ist ein Zeichen für die ausgebreiteten Arme von Jesus Christus“, sagte Ludwig Hager, Pfarrer der Gemeinde Maselheim, in seiner kurzen Begrüßung. Hager richtete sich auch an die Menschen in Heggbach: „Das Tau ist auch ein Logo dafür, wie gut die Welt hier in Heggbach ist – das haben Sie geschaffen.“ 

In seinem Grußwort beim anschließenden Festakt betonte Gerd Weimer, Landesbehindertenbeauftragter von Baden-Württemberg: „Die Schwestern waren vor 125 Jahren ihrer Zeit weit voraus. Was sie vor 125 Jahren begonnen haben, hat sich bis heute zu einem bedeutenden Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor entwickelt. Wo Heggbach drauf steht, ist Qualität drin.“ Weimer forderte weitere Schritte in Sachen Inklusion von Menschen mit Behinderung, mahnte aber gleichzeitig, dass dies eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sei: „Inklusion fordert eine Veränderung im Denken und im Handeln.“

Landrat Dr. Heiko Schmid betonte die gute Zusammenarbeit zwischen Landkreis und St. Elisabeth-Stiftung. Er zitierte die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.“ In diesem Sinne wende der Landkreis jährlich 13 Millionen Euro für Menschen mit Behinderung auf – insbesondere in Zusammenarbeit mit der St. Elisabeth-Stiftung: „Heggbach ist mehr als eine Einrichtung – Sie gestalten Sozialplanung.“ Schmid sagte über die Zukunft der Eingliederungshilfe: „Wir setzen auf Inklusion, sind aber weiterhin auf stationäre Einrichtungen angewiesen.“

Elmar Braun, Bürgermeister von Maselheim und so auch Bürgermeister von Heggbach, hob die vielen Kontakte hervor, die sich längst zwischen Heggbachern und dem Rest der Gemeinde ergeben hätten: „Wir treffen uns bei Veranstaltungen, beim Einkaufen, beim Einkehren.“ Braun hatte als Geschenk zum 125-jährigen Jubiläum eine Fahne der Gemeinde dabei, die sofort gehisst wurde.

Senator e.H. Roland Klinger, Direktor des Kommunalverbands Jugend und Soziales Baden-Württemberg, betonte in seinem Grußwort, dass Inklusion nicht im Hauruckverfahren realisiert werden könne: „Wir brauchen Augenmaß und müssen Schritt für Schritt vorgehen.“ Von 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg hätten erst 250 Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Bis die restlichen Gemeinden gefolgt seien, gelte es noch „viele Barrieren in den Köpfen“ einzureißen, so Klinger.

Prälat Wolfgang Tripp, Diözesancaritasdirektor, plädierte dafür, die Schwachen in der Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir dürfen nicht die leidfreie Gesellschaft propagieren – und wir dürfen auch nicht Menschen nur nach ihrem Nutzen beurteilen.“

In seinem Vortrag plädierte Giovanni Maio, Professor für Medizinethik an der Universität Freiburg und Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung, „für die bedingungslose Annahme eines jeden Lebens“. Er wandte sich damit explizit gegen eine vorgeburtliche Diagnostik, die darauf ausgerichtet ist, Föten mit Behinderung auszusondern. Entschieden kritisierte er den kürzlich auf den Markt gebrachten, vorgeburtlichen Gentest auf Trisomie 21 (Down-Syndrom): „Das Ausmustern wird auf diese Weise selbstverständlich.“ Maio argumentierte, dass jeder Mensch so wie er ist angenommen werden müsse – ob mit oder ohne Behinderung. „Es ist nicht die Behinderung, die einen Menschen ausmacht“ - gerade in Heggbach werde offensichtlich, dass Menschen mit Behinderung genauso viel Lebensfreude erfahren könnten wie alle anderen Menschen auch, betonte Maio. Er wies auch darauf hin, wie viel Druck ein Testverfahren auf Trisomie 21 auf werdende Mütter ausübe – den Test anzuwenden und dann im Zweifelsfall abzutreiben.

 

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