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18.07.2013
Marianna-Bloching-Haus, Ehingen

Wahlkampfauftakt: Alle Parteien für Wahlfreiheit

EHINGEN – Menschen mit Behinderung sollen uneingeschränkt wählen dürfen. Wahlzettel müssen so gestaltet sein, dass sie diesen Menschen verständlich sind. Dies war der Tenor bei der Podiumsdiskussion am Samstag im Katholischen Gemeindezentrum St. Michael in Ehingen zum "Wahlkampf in einfacher Sprache".

Das Katholische Gemeindezentrum "St. Michael" in Ehingen war am Samstagnachmittag bis auf den letzten Platz besetzt. Menschen mit Behinderung, aber auch zahlreiche Bürger aus Ehingen waren vor Ort. Der Heggbacher Wohnverbund der St. Elisabeth Stiftung hatte zur Veranstaltung "Wahlkampf in einfacher Sprache - Wahlkampf verständlich für jeden" eingeladen. Bewohner und Betreuer des Ehinger Marianna-Bloching-Hauses sowie der Regionalen Wohngruppe Noah hatten schon vor Monaten das Thema aufgegriffen und mit Broschüren ihre Forderung formuliert, dass die Bundestagswahl insgesamt so gestaltet werden sollte, dass auch Menschen mit Handicap an der Wahl teilnehmen können.
Fünf Bundestagskandidaten verschiedener Parteien saßen am Samstag im Podium, um zum Thema Stellung zu nehmen, überdies auch vorbereitete Fragen von Bewohnern des Marianna-Bloching-Hauses und der Wohngruppe Noah zu beantworten. Maßgabe dabei war, sich in einfacher Sprache auszudrücken, das heißt, so zu sprechen, dass es jeder versteht - ohne Fremdworte und mit kurzen Sätzen. Die Bewohner hatten Schilder vorbereitet, die sie hochhielten, wenn der jeweilige Redner an der Reihe war, um deutlich zu machen, wer spricht und zu welcher Partei derjenige gehört
Podiumsleiter Wolfgang Dürrenberger, Fachdienstleiter für Bildung und Entwicklung des Heggbacher Wohnverbunds, hatte eine kleine Gummiente parat, die er bei jedem Fremdwort quietschen ließ. Alle fünf Podiumsteilnehmer hatten die Gelegenheit, zur Wahl in einfacher Sprache und zum aktuellen Wahlrecht für behinderte Menschen Stellung zu nehmen. "Wir stehen dafür ein, dass alle Menschen wählen sollten. Die Weichen dafür sind gestellt", sagte Hilde Mattheis (SPD). Gegenwärtig sind Personen, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten haben nach Paragraf 13 Nr. 2 und 3 Bundeswahlgesetz vom Wahlrecht ausgeschlossen. Annette Schavan (CDU) verwies auf den Bundesgerichtshof, der prüfe, ob ein uneingeschränktes Wahlrecht der Verfassung entspricht. Aber auch die CDU strebe das Wahlrecht für behinderte Menschen an. Annette Weinreich (Bündnis 90/Die Grünen) betonte: "Das aktuelle Gesetz in Deutschland besagt, dass Behinderte nicht wählen dürfen. Wir Grünen wollen, dass diese Menschen ein Wahlrecht haben." Frank Berger (FDP) meinte: "Ich sehe es nicht als Problem, dass Menschen, die nicht jeden Satz verstehen, deshalb nicht wählen sollten. Sie brauchen einfach kompetente Menschen, die sie dabei betreuen und begleiten." Eva-Maria Glathe-Braun (Linke) betonte: "Der Abschnitt im Gesetz muss weg. Da muss sich schnell was ändern. Jeder Mensch soll selbst bestimmen, ob er wählen möchte."
Wolfgang Dürrenbergers Fazit zu den Stellungnahmen: "Die fünf Parteien sind sich nahezu einig. Keine Partei will die Barrieren aufrechterhalten. Alle wollen die Wahlfreiheit."
Wie der Podiumsleiter sagte, habe die Gruppe Noah und die Bewohner des Marianna-Bloching-Hauses Fragen ausgearbeitet, die zwar nichts mit dem Wahlrecht zu tun haben, die Bewohner dennoch bewegten. Die Frage eins lautet: Warum bekommen Behinderte für ihre Arbeit in der Werkstatt nicht mehr Geld? Dazu gab etwa die Linken-Politikerin Antwort. "Jeder hat das Recht auf gute Arbeit und auf guten Lohn. Werkstätten und die Politik müssen sich an einen Tisch setzen, um eine bessere Lösung zu finden." Frank Berger will behinderte Menschen in die Mitte der Gesellschaft bringen.
Zur zweiten Frage, wann kommt der Ausstieg aus der Atomkraft und können wir uns den Strom dann noch leisten, lieferte Hilde Mattheis sofort einen Seitenhieb an Annette Schavan. "Unsere Partei hat den Atomausstieg seit vielen Jahren im Programm. Die aktuelle Regierung kommt erst jetzt drauf. Aber lieber spät als nie." Eva-Maria Glathe-Braun verwies auf die vielen Möglichkeiten der alternativen Energien auch hier in der Region. Der FDP-Kandidat sprach das Energieeinspeisungsgesetz an. "Das trifft zwar die Leute mit kleinem Geldbeutel. Aber der Weg, den wir gehen, ist richtig." Sollte der Atomstrom sofort gestoppt werden, müsse man Atomstrom aus den Nachbarländern einkaufen, weil nur 20 Prozent durch alternative Energien gedeckt werden. Zur Frage drei, warum gibt man so viel Geld für andere Länder in Europa aus, warum werden nicht wir mehr unterstützt, meinte Annette Weinreich: "Wir Europäer müssen füreinander da sein." Die Frage "Wie kann die Umwelt mit weniger Abgasen belastet werden", beantwortete der FDP-Politiker. "Wir haben in Deutschland die soziale Marktwirtschaft. Aber wir setzen auf das Bewusstsein der Unternehmen." Eva-Maria Glathe-Braun forderte, dass langfristig das Benutzen von Bus und Bahn kostenfrei sein muss. "Warum geht es nicht allen Menschen finanziell gleich gut? Warum verdienen nicht alle gleich", lautete die nächste Frage. Annette Schavan griff den Sozialismus mit der viel gelobten Gleichheit auf, "bei der am Ende alle arm waren." Sie verwies auf die drei Millionen Arbeitsplätze, die in den vergangenen acht Jahren von den Unternehmen mit Unterstützung der Politik geschaffen wurden. Hilde Mattheis prangerte die Managergehälter an. "Alle Menschen sollen von ihrer Arbeit leben können. Die Reichen sollen dafür ordentlich Steuern bezahlen."
Als letzte Frage stand zur Diskussion: Was will Ihre Partei in den nächsten vier Jahren für Menschen mit Behinderung tun? "Niemand darf schlechter behandelt werden, nur weil er behindert ist. Auch Behinderte müssen gute Arbeit haben. Und wir fordern die Gemeinschaftsschule für Behinderte und Nichtbehinderte", sagte Eva-Maria Glathe-Braun (Linke). Frank Berger (FDP) nannte das Wahlprogramm seiner Partei eine Politik der Inklusion und Integration. "Auch behinderte Menschen soll so leben können, wie sie wollen, ohne Barrieren auf jeder Linie", meinte die Bundestagskandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Annette Weinreich. Hilde Mattheis garantierte im Namen ihrer Partei, Menschen mit Behinderung mehr in die Gesellschaft zu bringen. "Hier haben alle Platz." Nicht zuletzt zitierte Annette Schavan aus der Verfassung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist ein Lernprozess, bei dem wir vorangehen wollen." Wohnbereichsleiterin Sonja Gaißmaier schloss die Veranstaltung mit einem Lob an die Podiumsteilnehmer. "Es ist schön, dass Sie sich auf dieses Experiment heute eingelassen haben. Das macht Mut." 

 

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