Sozialministerium zeigt sich wenig gesprächsbereit
BAD WALDSEE/STUTTGART – Dass wir als Gesellschaft ein Problem damit haben, unsere Seniorinnen und Senioren zu einem annehmbaren Preis von ausreichend geschultem Personal betreuen zu lassen und ihnen ein würdevolles Altern zu ermöglichen – dies sollten nicht nur die Vertreter der Träger der Einrichtungen, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger wissen. Vor allem aber die zuständigen Politiker und die Entscheider im Sozial- und Gesundheitsministerium in Stuttgart. Dennoch haben diese 2009 mit der Landesheimbauverordnung ein bürokratisches Monster geschaffen, das schon damals nicht mehr zeitgemäß war. Doch die Zeichen stehen auf Veränderung. In Bayern wurde die dort gültige Landesheimbauverordnung gekippt.

Andrea Thiele, Vorstandssprecherin der St. Elisabeth-Stiftung, macht sich stark für ein Umdenken, das auch andere katholische Altenhilfeträger in Baden-Württemberg fordern. In Bayern wurde die Landesheimbauverordnung bereits gekippt. Foto: Archiv/St. Elisabeth-Stiftung
Im Nachbarbundesland werden die Anforderungen an Pflegeanbieter deutlich angepasst. So hebt der Freistaat unter anderem die gesetzlich vorgeschriebene Einzelzimmerquote auf. Außerdem sind Heimbetreiber nicht mehr verpflichtet, bestehende Gebäude umfassend zu modernisieren und zu sanieren. Von diesen Erleichterungen würden Pflegeanbieter, Kassen, aber auch die Bewohner profitieren, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU).
Ein kurzer Blick zurück: Für die Pflege in Baden-Württemberg war das Jahr 2019 eine Zäsur. Die Landesheimbauverordnung mit ihren massiven Auswirkungen auf die stationären Einrichtungen erlangte Gültigkeit. Diese Verordnung ist bundesweit einmalig und hat keine vergleichbaren Regelungen. Hatte das Land den Trägern noch 2008 eine 20-prozentige Doppelzimmerquote vorgegeben, lautete die Vorgabe ein Jahr später: 100 Prozent Einzelzimmerquote. Bis 2019 hatten die Träger Zeit, diese Forderung umzusetzen. Der Umbau stationärer Einrichtungen erforderte hohe Investitionen – mit Konsequenzen für die Wohnkosten.
Das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) gilt seit Mitte 2015. Die bis heute gemachten Erfahrungen zeigen: Das Gesetz ist starr und unflexibel. Träger und Kommunen bestätigen, dass der Bedarf an solchen Versorgungsformen da ist. Doch das Gesetz steht zwischen Nachfrage und Angebot. Aktuell wird auch in Baden-Württemberg über gesetzliche Anpassungen diskutiert. Während es im Bereich der Prüfungen der Träger durch die Heimaufsicht Bewegung gibt und eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen möglich scheint, so gering erscheinen derzeit die Chancen auf einschneidende Veränderungen im Bereich der Landesheimbauverordnung. So zumindest deutet die St. Elisabeth-Stiftung die Handlungsweise des Ministeriums. Erste kleine Veränderungen, wie die Streichung einzelner verpflichtender baulicher Maßnahmen, werden in der nächsten Verhandlungsrunde wieder relativiert.
Die Reduzierung auf Einzelzimmer sorgt in Zeiten des demografischen Wandels für eine immer größer werdende Knappheit an Pflegeplätzen. Zudem führt dieser Bau- und Bürokratie-Wahnsinn zu massiv explodierenden Kosten für Bewohner, fehlenden Mitteln bei den Trägern für weitere Neuinvestitionen, massiven Versorgungsnotständen – die in den kommenden Jahren angesichts der in Rente gehenden Babyboomer-Jahrgänge noch drastischer werden – sowie gezielten Schließungen von Häusern, die nach der Anpassung an die Landesheimbauverordnung finanziell nicht mehr tragbar waren. Dass die Probleme des Pflegesektors im Rahmen der Entlastungsallianz inzwischen zwischen Vertretern der Trägerverbände wie der Caritas und dem Sozialministerium diskutiert werden und mögliche Anpassungen überlegt sowie vermutlich umgesetzt werden, ist aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch aus Sicht der St. Elisabeth-Stiftung sollten aus diesen Überlegungen auch konsequente Umsetzungen folgen. Andernfalls besteht angesichts explodierender Baukosten und starrer baulicher Vorschriften eine sehr reale Gefahr, dass dringend benötigte Langzeitpflegeplätze abgebaut und nicht mehr neu geschaffen werden.
„Sollte die Landesheimbauverordnung in der jetzigen Form weiterbestehen und uns als Trägern im Bereich der Sanierung und des Neubaus weiterhin jegliche finanzielle Flexibilität nehmen, dann werden kaum Neubauten in der stationären Langzeitpflege entstehen, und notwendige Sanierungen in Bestandsbauten werden so lange wie möglich in die Zukunft geschoben. Es ist schwer zu verstehen, dass die Landesregierung an einer Verordnung festhält, die nachweislich den Pflegenotstand in Baden-Württemberg verschärft und die Kosten für die Bewohner explodieren lässt. Uns liegt etwas ebenfalls an einer Verbesserung der Pflege im Rahmen des Möglichen. Angesichts der sich ständig verändernden personellen Möglichkeiten der Einrichtungen müssen die Rahmenbedingungen flexibler werden. Mit diesen starren Rahmenbedingungen können wir die Qualität der Pflege in gewohnter Weise nicht mehr lange gewährleisten“, bringt es die Vorstandssprecherin der St. Elisabeth-Stiftung, Andrea Thiele, auf den Punkt.
Wenn die Einrichtungen nicht länger verpflichtet sind, umfassende und dadurch teilweise kostentreibende Modernisierungen und Sanierungen in Bestandsbauten durchzuführen, an denen die Bewohnerinnen und Bewohner sonst gegebenenfalls finanziell beteiligt würden, gäbe es für alle Beteiligten zukünftig auch in Baden-Württemberg eine dringend benötigte Stabilität bei den Investitionskosten.
Oder, um es mit den Worten von Andrea Thiele, Vorstandssprecherin der St. Elisabeth-Stiftung, zu sagen: „Wir wollen die Kontrollen ja nicht aussetzen oder die Wohnqualität in den Pflegeheimen vor die Wand fahren. Ganz im Gegenteil. Wir sind im engen Austausch, um die Prüfungen der Heimaufsicht flexibler zu gestalten und beide Seiten zeitlich zu entlasten. Aber was die Kostentreiber aus der Landesheimbauverordnung angeht – bei Eigenanteilen weit jenseits von 4000 Euro und einem deutlich steigenden Anteil von Bewohnern, die über das Sozialamt gegenfinanziert werden müssen, muss sich jeder fragen, wohin sich das Rad noch drehen muss, bevor Anforderungen an die Realität angepasst werden.“
Mit der Forderung nach einer Abschaffung der Landesheimbauverordnung steht die St. Elisabeth-Stiftung nicht alleine da. Zeitgleich gehen Pressemitteilungen des Netzwerks Alter und Pflege sowie der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe, Hospizarbeit & Pflege – in der alle katholischen Altenhilfeträger in Baden-Württemberg organisiert sind – mit einer ähnlich gelagerten Zielsetzung in deren Presseverteiler. Wir setzen uns alle für eine schnelle Loslösung von der aktuellen Landesheimbauverordnung und die Etablierung moderner, flexibler Vorschriften ein. Damit bezahlbare Pflege eine Zukunft hat.