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30.01.2018
Heggbacher Wohnverbund

Gedenkgottesdienst für Euthanasie-Opfer

HEGGBACH - Jedes Jahr wird am 27. Januar in einem Gottesdienst der Euthanasie-Opfer gedacht, die 1940 von Heggbach nach Grafeneck deportiert und getötet worden sind: 122 geistig und mehrfach behinderte Frauen und 71 Männer. Der Gedenkgottesdienst fand am Samstag unter Einsatz eines neu geschaffenen Quilt statt.

Das Trio Kleznova untermalte den Gedenkgottesdienst musikalisch. (Foto: Andrea Reck/ St. Elisabeth-Stiftung)

Nach der Begrüßung durch Renate Weingärtner, Leiterin des Heggbacher Wohnverbundes, stellte Jenny Hofer dar, wie letzten Herbst die Idee Gestalt annahm, einen Quilt zur Erinnerung an die Ermordeten zu gestalten. Die engagierte Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer der Heggbacher Einrichtungen e.V. nahm die Aktion der Amerikanerin Jeanne Hewell Chambers zum Vorbild, mit textilen Wandbehängen der insgesamt 70.273 in Deutschland von den Nazis getöteten behinderten und psychisch kranken Menschen zu gedenken. Vor dem Abtransport waren deren Krankenakten von jeweils drei Ärzten gelesen worden. Setzten zwei davon ein rotes Kreuz unter die Akte, bedeutete dies den Tod der „Patienten“, wie Jenny Hofer sehr anschaulich und in leichter Sprache erläuterte.

Mit Hilfe der Patchwork-Gruppe in Schwendi nähten, strickten, häkelten und stickten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt bei einem sorgfältig vorbereiteten Projekttag zahlreiche rote Kreuze. Die Seniorengruppe im Begegnungszentrum fertigte weitere Kreuze an. Anschließend wurde das Oberteil mit Futter und Unterteil geheftet und in vielen Stunden gesteppt. Beim Gedenkgottesdienst schmückte das fertige 350 Zentimeter lange und 130 Zentimeter breite Gemeinschaftswerk den Altar.

Kommunikationspädagogin Rita Schultheiß untermalte ihre Ansprache mit Gebärdensprache, gefolgt von einer kurzen Lesung aus dem Buch Jesaja zum Thema Recht und Gerechtigkeit. Zwei Bewohnerinnen der Einrichtung, Sybille Krug und Sabine Mösslang, fassten anschließend in einfachen Worten das Denken der Nazis zusammen. Die Frauen zählten Wörter auf, „die wehtun“. Diese waren zuvor von Beschäftigten in der Gruppe erarbeitet worden. Zu jedem ausgedruckten Wort wie Lüge, Abstoßung, Opfer oder Vergasung wurde neben dem Quilt ein kantiger Stein abgelegt. Wörter, die guttun, wie Trösten, Annehmen, Würdigen oder Helfen, hingegen dekorierten zwei Seniorinnen bunte Primeln.

Die Namen der 193 Ermordeten wurden den Gottesdienstbesuchern verlesen - jeweils mit deren Geburtsorten und –daten. Zwischen den einzelnen Wortbeiträgen thematisierte das Trio Kleznova aus Ottobeuren mit Klarinette, Kontrabass und Gitarre die Erinnerung an Schmerz, Stärke und Hoffnung. Die Musiker interpretierten jüdische Klezmer-Musik mit Elementen aus Jazz und Blues auf  berührende Weise -passend zu einem sehr nachdenklich stimmenden Gottesdienst, der unter die Haut ging, nicht nur durch sein Schlussgebet, gefunden auf einem Einwickelpapier im Konzentrationslager Ravensbrück.

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