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01.06.2011
Wohnen und Begleiten Ingerkingen

100 Jahre Wohn- und Förderangebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen

SCHEMMERHOFEN-INGERKINGEN – Vor 100 Jahren haben die Franziskanerinnen von Reute damit begonnen, Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Ingerkingen zu fördern und ihnen ein Zuhause zu geben. Die St. Elisabeth-Stiftung hat dieses Jubiläum am 31. Mai 2011 mit einem Festakt gefeiert.

Der 31. Mai hat für den Bereich Wohnen und Begleiten Ingerkingen und die Schule St. Franziskus eine besondere Bedeutung: Das Ehepaar Johannes und Agathe Betz aus Ingerkingen hatte sich entschlossen, seinen Hof den Franziskanerinnen von Reute zu vermachen - am 31. Mai 1911 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet. Von diesen Anfängen im Jahr 1911 über die Gegenwart bis in die Zukunft spannte der Festakt 100 Jahre später einen Bogen.

Nach einem von Prälat Wolfgang Tripp zelebrierten Dankgottesdienst, den Mitarbeiter mit Kindern und Jugendlichen gestalteten, war der Kern des Rückblicks auf 100 Jahre Wohn- und Förderangebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Ingerkingen die Aussagen von Zeitzeugen.

So berichtete Peter Betz, Großneffe von Agathe und Johannes Betz, von den Motiven der Stifterfamilie, ihren Hof den Franziskanerinnen zu vermachen: Die Familie war kinderlos geblieben und wollte ein Heim für behinderte Kinder möglich machen. Sr. Paulin M. Link, Generaloberin der Franziskanerinnen von Reute, erzählte von den Anfängen der Arbeit im Kinderasyl. Alois Zell, Landwirt und Nachbar, berichtete von der Arbeit auf dem Hof, mit dem die Franziskanerinnen lange Zeit sich und ihre Einrichtung selbst versorgten. Franz Lämmle, der Sohn von Konrad Lämmle, dem Verwalter der Landwirtschaft bis 1929, erinnerte sich noch daran, wie er als Zehnjähriger miterlebt hat, wie die Kinder im Jahr 1940 aus dem Kinderasyl in grauen Bussen abgeholt wurden – 72 wurden im KZ Grafeneck ermordet.  Sr. Maria Hanna Löhlein, Mitglied des Generalrats der Franziskanerinnen von Reute und stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrats der St. Elisabeth-Stiftung, gab den Festgästen einen Einblick, unter welchen Umständen ihre Mitschwestern bis in die 60er Jahre hinein ihre Erziehungsarbeit leisteten: Eine Schwester betreute alleine bis zu 30 Kinder, und das 24 Stunden am Tag. Dr. Heinz-Joachim Schulzki, Schulamtsdirektor i.K. am bischöflichen Schulamt in Rottenburg, zeichnete den Paradigmenwechsel nach, der sich in den 60er und 70er Jahren in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung – unter anderem durch die Sonderpädagogik - vollzogen hat. Petra Alger, Sozialdezernentin des Landkreises Biberach, ging darauf ein, wie sich die Hilfesysteme in den letzten Jahrzehnten verändert haben und wie der Landkreis Inklusion in Zukunft verstärkt möglich machen will. Schemmerhofens Bürgermeister Eugen Engler hob die gute Verankerung der Schule St. Franziskus und des Bereichs Wohnen und Begleiten in der Gemeinde Ingerkingen hervor. Uli Mohr, Jugendleiter Fußball beim SV Alberweiler, und Robin Hauke, Schüler in St. Franziskus, berichteten von einem Integrationsprojekt, bei dem Jugendliche mit und ohne Behinderung regelmäßig gemeinsam Fußball spielen. Und schließlich ging Vorstand Annemarie Strobl auf die Gründung des Geschäftsbereichs Kinder-Jugend-Familie der St. Elisabeth-Stiftung ein, der alle Angebote für Kinder und Jugendliche der Stiftung unter einem Dach vereint und so die die Forderung nach Inklusion organisatorisch nachvollzieht.

Die aktuelle Arbeit der Schule St. Franziskus und des Bereichs Wohnen und Begleiten Ingerkingen zeigte ein Film von Robert Stirner. Der Lehrer an der Schule St. Franziskus hat mit der Kamera unter anderem Szenen aus dem Schulunterricht und dem Alltag aus den Wohngruppen in Haus Raphael dokumentiert – in 13 Minuten erläutert der Film auch die Konzepte, die hinter der Arbeit der St. Elisabeth-Stiftung in Ingerkingen stecken.

Professor Dr. Edgar Kösler, Geschäftsführer und Rektor der Katholischen Fachhochschule Freiburg, stellte einen normativen Konflikt in den Mittelpunkt seines Festvortrags „Inklusion als Vision in Zeiten vermehrter Exklusion“: Einerseits würden Menschen mit Behinderungen noch immer und in ethischen Fragen sogar zunehmend ausgegrenzt, so Kösler. Gleichzeitig seien aber positive Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen sozial erwünscht und Benachteiligungen im Grundgesetz sanktioniert. Kösler geht daher nicht davon aus, dass eine Veränderung der Strukturen hin zu Inklusion schnell erreicht werden kann: „Wir werden uns auf einen langen Prozess einstellen müssen, auf einen Prozess, der ein radikales Umdenken erfordert.“

 

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