Schließen Menü
18.09.2017
Wohnen Bereich Laupheim Ehingen

Warum darf Franz-Josef Weiss nicht wählen?

OCHSENHAUSEN - Franz-Josef Weiss hat sich intensiv mit Politik beschäftigt. Er weiß, welchen Kandidaten und welche Partei er in der Bundestagswahl am 24. September gern wählen würde. Aber er darf nicht wählen. Denn der 55-jährige, der in Ochsenhausen im Coletta-Deußer-Haus des Heggbacher Wohnverbunds lebt, hat eine unbefristete Betreuung in allen Bereichen.

„Manche hier dürfen wählen, andere nicht“, erklärt er. Ein Mitbewohner darf wählen, weil er eine befristete Betreuung hat. Weiss findet das ungerecht. „Ich bin oft allein unterwegs und mache viele Ausflüge“, berichtet der 55-jährige. Erst kürzlich ist er am Wochenende mit der Bahn nach Lindau gefahren, dann weiter mit dem Schiff nach Friedrichshafen und von dort mit Bahn und Bus wieder zurück. Fahrpläne zu lesen macht Weiss keine Probleme. Jede Menge Abfahrts- und Ankunftszeiten hat er im Kopf gespeichert. Viele Bewohnerinnen und Bewohner des Coletta-Deußer-Hauses fragen ihn gern um Rat, wenn sie mit Bus oder Bahn fahren wollen.

Neben dem Reisen ist sein zweites Hobby die Natur. Weiss besitzt eine brasilianische Zimmertanne, die er hegt und pflegt. Im Fernsehen sieht er gern Tierfilme und informiert sich über Eisbären, Pottwale oder Wildsauen. Ihm ist es wichtig, dass die Natur geschützt wird. Dazu gehört für ihn auch, dass der Klimawandel gestoppt wird. „Denn wenn das Eis am Nordpol schmilzt, gibt es bald keine Eisbären mehr“, sagt Weiss. Wenn er Politikern zuhört, achtet er besonders darauf, ob sie sich für die Natur einsetzen.

Manchmal betrifft ihn die Politik auch ganz direkt. Früher wurde einmal diskutiert, Menschen mit Behinderung nicht mehr kostenlos Zugfahren zu lassen. Sie sollten Wertmarken kaufen und auf den Behindertenausweis kleben, berichtet Weiss. Welcher Politiker sich damals für die freie Fahrt für Menschen mit Behinderung eingesetzt hat, das hat er sich gemerkt.

Weiss kommt aus Mengen bei Sigmaringen. Er war im Kinderheim in Ingerkingen und hat 25 Jahre in Werkstätten gearbeitet, zum Beispiel in Heggbach, Biberach und Laupheim. Er hat Teile für Dampfstrahler und Kehrmaschinen gebaut. Eigentlich wäre er gern Automechaniker geworden. Aber das hat nicht geklappt. Heute findet er das nicht mehr schlimm.

Wie das mit dem Wählen funktioniert, weiß der 55-jährige genau. Denn bis 1978 durfte er wählen und hat bei allen Wahlen in der Kabine sein Kreuzchen gemacht. Seither hat er jedoch eine dauerhafte Betreuung. Das bedeutet, dass zum Beispiel sein Geld für ihn verwaltet wird und dass der Betreuer Entscheidungen in Gesundheitsfragen trifft, etwa wenn Weiss im Krankenhaus wäre und operiert werden müsste. Wählen darf Weiss mit dauerhafter Betreuung nicht mehr. Dabei würde er sehr gern an der Bundestagswahl teilnehmen. „Er könnte gut wählen“, sagt auch Nadine Aumann, Leiterin des Coletta-Deußer-Hauses. „Das sagen noch mehrere hier.“

Der Europarat hat im März seine Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, Menschen mit Behinderungen stärker an der Politik zu beteiligen. Das Wahlrecht soll auch für Menschen gelten, die dauerhaft eine Betreuung haben. Sie dürfen inzwischen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bei der Wahl der Landesparlamente mitmachen. „Irgendwann darf ich auch wieder wählen“, sagt Weiss. Für die Zukunft ist er optimistisch. Aber für die kommende Bundestagswahl im September wird die Aufforderung des Europarats wohl noch nicht umgesetzt.

 

Link kopieren