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26.06.2018
St. Elisabeth-Stiftung, Bad Waldsee

Fachtag der christlichen Ethik

BAD WALDSEE-REUTE - Die St. Elisabeth-Stiftung hat am 19. Juni zu einem Fachtag für christliche Ethik ins Kloster Reute eingeladen. Die Vorträge und Workshops des Fachtags standen unter dem Motto "Gelingendes Leben". Katharina Vannahme, Leiterin der Seelsorge, und Nicole Nüssle, Mitarbeiterin im Personalwesen, waren als Mitglieder des Ethikkomitees der Stiftung für das Programm verantwortlich.

Wie war die Resonanz auf den Fachtag?

Nicole Nüssle: Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind nach Reute gekommen – von innerhalb und außerhalb der St. Elisabeth-Stiftung. Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Bei uns bleibt der Eindruck, dass wir mit den ethischen Fragestellungen den Nerv der Zeit getroffen haben.

Was steckt hinter dem Leitmotto „Gelingendes Leben“?

Katharina Vannahme: Wir beziehen uns mit dem Leitmotto auf die zentrale Frage, die schon die antike, vorchristliche Ethik in den Mittelpunkt stellte: Wie kann Leben glücken? Es ist im Grunde dieselbe Frage, die wir uns auch heute in der sozialen Arbeit stellen: Wie können wir das Leben der uns anvertrauten Menschen gelingend begleiten? „Gelingend“ bedeutet zum Beispiel in der Eingliederungshilfe: Wie muss unsere Begleitung sein, damit sich Menschen trotz einer Behinderung entfalten können?

Der Moraltheologe Professor Eduard Schockenhoff hat den Auftaktvortrag gehalten. Wie hat er sich dem Thema genähert?

Vannahme: Professor Schockenhoff hat unterschiedliche ethische Ansätze gegenübergestellt: auf der einen Seite die sogenannte utilitaristische Ethik, die auf den Nutzen einer Handlung fokussiert – auf der anderen die an der Vernunft des Einzelnen ausrichtete Ethik Immanuel Kants, die die Selbstbestimmung in den Blick nimmt. Ein Beispiel machte den Unterschied deutlich: Im Krankenhaus warten fünf Personen, die wichtige Funktionen in der Gesellschaft innehaben, auf ein Organ. Im selben Krankenhaus liegt eine Person, die für die Gesellschaft völlig unnütz ist. Aus der reinen Nutzenperspektive könnte man sagen: Wir entnehmen der unnützen Person alle Organe und verteilen diese auf die fünf Menschen, die wichtig für unsere Gesellschaft sind. Im Gegensatz dazu sagt Kant: Der Mensch hat an sich einen Wert. Diese Ethik finden wir bereits im jüdisch-christlichen Denken, das die einzigartige Würde jeder Person betont. Professor Schockenhoff kommt zu diesem Ergebnis: Grundlage für gelingendes gesellschaftliches Leben kann nur eine Ethik sein, die den Wert jedes menschlichen Lebens bewahrt und sich nicht zuerst an dessen Nützlichkeit oder Wirtschaftlichkeit orientiert.

Professor Schockenhoff stellte in seinem Vortrag die Frage: Ist Ethik mehr als ein bloßes Bauchgefühl? Zu welchem Ergebnis kommt er?

Nüssle: Professor Schockenhoff hat uns in eine lange Tradition argumentativen Denkens mitgenommen und aufgezeigt, dass eine Gesellschaft mit bloßem Bauchgefühl nur bedingt funktionieren kann. Am gerade genannten Beispiel lässt sich das gut zeigen: Nach einem Bauchgefühl könnte es doch richtig sein, der einen Person die Organe zu entnehmen, um das Überleben der anderen Personen zu sichern. Diese Bauchentscheidung würde die Gesellschaft aber stark verunsichern – wer würde sich dann noch vertrauensvoll in einem Krankenhaus operieren lassen?  Im Unterschied dazu kann eine Gesellschaft, die ihr Handeln an Werten wie der Einzigartigkeit und des Selbstbestimmungsrechtes jedes Menschen ausrichtet, zu einem gelingenden Leben jedes Einzelnen beitragen. Diese individualethischen Werte sind eine Grundlage, auf der Gesellschaft - also ein gelingendes Zusammenleben - aufgebaut werden kann.

Die Workshops haben sich mit ganz unterschiedlichen Themen beschäftigt, einer davon mit Sexualität im Alter. Was konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier mitnehmen?

Vannahme: Sexualität im Alter ist ein wichtiges Thema in Pflegeeinrichtungen, das nicht tabuisiert werden darf. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten offen mit der Thematik umgehen. Der Theologe Georg Beule hat in seinem Workshop einen Weg vorgestellt, wie ein Ethikkomitee eine Leitlinie zum Umgang mit Sexualität entwickelt und wie sich diese Leitlinie in Einrichtungen der Altenhilfe handlungsleitend auswirkt.

Sozialunternehmen stehen vor der Aufgabe, ethische Werte mit der gebotenen Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Wie kann das gelingen?

Nüssle: Beim Fachtag waren mehrere Sozialunternehmen vertreten, die alle danach streben, ihre Entscheidungen auf der Basis von ethischen Werten zu fällen. Diese Werte sind in Leitbildern festgehalten und werden auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen herangezogen, zum Beispiel wenn es um Nachhaltigkeit oder gerechte Verteilung geht. Professor Schockenhoff sieht diese Werte aber auch als Auftrag nach außen. Er sieht Sozialunternehmen als wichtige politische Akteure, gerade wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht. Wir haben den Auftrag, uns in der politischen Debatte für eine Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen, die zum Beispiel alte Menschen und Menschen mit Behinderung ausreichend differenziert im Blick hat. 

Debattiert wurden auch die Möglichkeiten und Grenzen von Patientenverfügungen. Mit welchem Ergebnis?

Vannahme: Eine Patientenverfügung ist für den Fall geschrieben, dass sich jemand nicht mehr selbst äußern kann. Muss beispielsweise über die Frage von künstlicher Ernährung entschieden werden, kann der vorher formulierte Wille der betroffenen Person umgesetzt werden. Wichtig sind dabei die Absprachen zwischen Hausarzt und Angehörigen sowie einer gleichzeitig regelmäßigen Kommunikation mit der Einrichtung. Eine Patientenverfügung hat aber Grenzen. Nicht alle Eventualitäten, die sich durch Krankheiten ergeben, können abschließend in ihr behandelt werden. Deshalb ist es sinnvoll, für diese Fälle eine Person als Vorsorgebevollmächtigten zu benennen, der gegebenenfalls stellvertretend entscheiden kann.

Das 2014 ins Leben gerufene Ethikkomitee der St. Elisabeth-Stiftung hat den Fachtag für christliche Ethik organisiert. Was sind dessen zentrale Aufgaben?

Vannahme: Das Ethikkomitee steht Mitarbeitenden, Angehörigen und Bewohnern in sogenannten ethischen Fallbesprechungen beratend zur Seite. Ein Beispiel aus einem Pflegeheim: Zwei Töchter haben das gemeinsame Sorgerecht für ihren an Demenz erkrankten Vater. Die eine Tochter ist überzeugt, der Wille des Vaters ist es bald sterben zu können. Entsprechend möchte Sie keine Krankenhauseinweisungen mehr und lässt dies im Pflegeheim so vermerken. Die andere Tochter sieht das anders, der Vater habe das Leben immer geliebt - sie möchte, wenn es notwendig wird, dass ihr Vater auf jeden Fall in einem Krankenhaus behandelt wird. In solch einem Fall versuchen Mitglieder des Ethikkomitees im Dialog mit den verantwortlichen Pflegenden und Angehörigen, systematisch den mutmaßlichen und aktuellen Willen des Vaters zu ermitteln. Dieser Wille ist dann die Basis für Handlungsempfehlungen. Die Mitglieder des Ethikkomitees gehen aber auch in unsere Einrichtungen zu sogenannten Ethikcafés, bei denen wir mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise über das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderung nachdenken. Auch hier ein Beispiel: Es kann sein, dass ein Mensch mit Behinderung die Körperpflege ablehnt. Das sollte man erst einmal akzeptieren. Wir alle können uns aber auch Grenzen dieser Selbstbestimmung vorstellen: Der Geruch, der Mitbewohner belästigt, oder der Harnkatheder, der eigentlich regelmäßig gewechselt werden müsste. Das gemeinsame Nachdenken und Abwägen solcher Fälle gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Handlungssicherheit. Und schließlich erarbeitet das Ethikkomitee Leitlinien, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Orientierung geben sollen, beispielsweise zum Umgang mit geäußerten Sterbewünschen.

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