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28.10.2022

Klostertage und Führungen zeigen Heggbach hautnah

HEGGBACH – Viele fahren täglich an Heggbach vorbei, ohne je den weitläufigen Komplex erkundet zu haben. Im Rahmen der Klostererlebnistage Bodensee und einer Fachtagung, die im Tageshaus Weingarten und in Heggbach stattgefunden hat, bestand nun zweifach die Gelegenheit, einmal hinter die Kulissen dieses so vielseitigen Mikrokosmos zu blicken.

Andrea Thiele, Vorständin der St. Elisabeth-Stiftung (l.), erklärt während der Führung durch das Kloster Heggbach die aktuelle und zukünftige Rolle der Anlage in der St. Elisabeth-Stiftung.

Historisches Klostergelände mit 800-jähriger Geschichte und Ort der Geborgenheit für über 250 Menschen mit Behinderung, die heute dort leben. Werkstätten, die die Welt beliefern und eine Großküche, die jeden Tag 2.900 Mittag- und Abendessen in die verschiedenen Einrichtungen der St. Elisabeth-Stiftung aber auch zu externen Kunden liefert. Ein kleines Museum und stille Orte der Kontemplation. Historische Bauten, denkmalgerecht instandgesetzt, und eine Frauengruppe von Bewohnerinnen, die Leckereien herstellt. Von all dem und noch von Vielem mehr erfuhren die Teilnehmenden an den beiden Führungen, bei denen Engagement-Beraterin Eva Maria Sorg und Rita Schultheiß, Seelsorgerin und Kommunikationspädagogin, Einblick gaben in diese außergewöhnliche Lebens- und Arbeitswelt. In Ergänzung dazu erzählten Sabine Mößlang und Jürgen Stützle als Experten in eigener Sache von ihrem Leben in Heggbach.
Mößlang ist eine von 87 Personen, die in Heggbach im Haus Martin wohnen. „Ich habe dort ein Einzelzimmer mit Fernseher und Internetanschluss“, zeigte sich die Rollstuhlfahrerin mit ihren Wohnbedingungen zufrieden. In ihrer Freizeit malt und bastelt sie sehr gerne. Zudem spielt sie auch Veeh-Harfe. Abwechslung in ihrem Alltag bietet ihr nicht zuletzt ihre Frauengruppe, in die sie sich mit Begeisterung einbringt und deren Produkte wie Marmelade, Weihnachtsschmuck, Pesto oder Postkarten sich bei diversen Basaren großer Beliebtheit erfreuen, wie einige der Besucher bestätigten. Ganz wichtig war ihr mitzuteilen, dass sie in der Werkstatt arbeitet und dort wichtige Montagearbeiten für den international ausgerichteten Gartengerätehersteller Gardena erledigt. Jürgen Stützle findet dort ebenfalls eine ihn mit Stolz erfüllende Beschäftigung, wie er erzählte. Er ist im Werkstattrat engagiert, dem Vertretungsorgan der Beschäftigten. Wohnhaft ist er außerhalb, nämlich in Ochsenhausen in einer von mehreren Außenwohngruppen unter Trägerschaft der St. Elisabeth-Stiftung, die einen weiteren Schritt in Sachen Inklusion bedeuten.


Sorg, die auch Historikerin ist, ging sehr genau ein auf die lange Geschichte Heggbachs. Im Kreuzgang, wie weitere Teile der historischen Bausubstanz zuletzt mit einem Aufwand von elf Millionen Euro saniert, führte sie zu den wieder freigelegten Freskenresten aus dem 14. Jahrhundert. Sie sind mit die ältesten überkommenden Relikte des einstigen Zisterzienserinnen-Klosters. Dann ging’s ins kleinen Museum, wo sich Portraits einer ganzen Reihe prägender Äbtissinnen finden, etwa von Maria Aleydis Zech, unter deren Regie 1753 das ehemalige Torhaus mitsamt Braustätte entstanden ist.
Der Komplex bildet die Hauptansicht von Heggbach aus Autofahrerperspektive. „Das vermutet man gar nicht, dass es hier so schön ist, wenn man außen vorbeifährt“, zeigte sich eine Besucherin überrascht bei dem Rundgang durchs Gelände. Selbst die Gebäude aus dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts tragen zu diesem positiven Eindruck bei. Denn sie fügen sich ins Gelände und in den Bestand harmonisch ein, was damals noch nicht selbstverständlich gewesen sei, wie Eva Maria Sorg betonte.
Zuletzt erfuhren auch noch die Außenanlagen eine Aufwertung. Rekonstruiert wurde der Umriss der abgerissenen Kapelle St. Agnes, der sich nun wieder in Zusammenhang mit einer neuen Außenterrasse ablesen lässt. „Die Geschichte von Heggbach reicht zurück bis 1231 als hier ein Zisterzienserinnenkloster gegründet wurde. Wir werden dazu einiges hören und auch sehen. Mit den Franziskanerinnen von Reute wurde nach der Säkularisation ein neues Kapitel aufgeschlagen und Heggbach zunächst 1887 als Ort für Menschen mit Behinderungen begründet. Mit diesem Auftrag, der sich nach der Gründung der St. Elisabeth-Stiftung im Jahr 2000 inzwischen in die Begrifflichkeiten und Inhalte der Teilhabe und Inklusion weiterentwickelt, ging eine Anpassung des Ortes und der Gebäude einher, die rein optisch heute Geschichte und modernen Anspruch miteinander verbinden“, ergänzte Andrea Thiele, Vorständin der St. Elisabeth-Stiftung, an dieser Stelle.
Zum Abschluss führte Rita Schultheiß in die Kirche St. Georg im Haag, die sich bis aufs Jahr ihrer ersten Weihe im Jahr 1320 zurückverfolgen lässt. Ehedem barockisiert, dann in den 1990er Jahren im Sinne zeitgemäßer liturgischer Ideen grundlegend räumlich umgestaltet und purifiziert, verwies die Seelsorgerin auf die so geschaffenen Möglichkeiten von sehr unmittelbaren Formen der Gottesdienstgestaltung. Die „Heggbacher“ seien sehr gläubige Menschen. Viel stärker als früher könne man sie darin nun einbeziehen. Trauerbegleitung zähle ebenso zu ihren festen Aufgaben. „Wir haben hier“, so Schultheiß weiter, „eine gute Kultur des Abschiednehmens.“
Heggbach sei eine „offene Einrichtung, ohne Zäune“, betonte sie auf Nachfrage. Auch das ist völlig anders als zu Klosterzeiten, als die Nonnen, wie Sorg einflocht, das ummauerte Klostergelände nur in Ausnahmefällen nicht verlassen durften. Das „offene“ Heggbach zeigte sich bei einer weiteren Gelegenheit: Es war einer der beiden Austragungsorte der Fachtagung „Transformationen – Klöster, geistliche Frauengemeinschaften und kirchliche Stiftungen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart“, organisiert von der Akademie und Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der St. Elisabeth-Stiftung, Andrea Thiele, Vorständin der St. Elisabeth-Stiftung, nutzte in ihrer Begrüßung die Gelegenheit, den 50 Teilnehmenden die Transformationen in der Behindertenarbeit aufzuzeigen. Teilhabe und Inklusion spielten heute darin eine starke Rolle. Da sich Heggbach „ganz im zisterziensischen Sinne als Ort der Begegnung und Gastfreundschaft versteht“, sei geplant, „künftig verstärkt Führungen und Informationsveranstaltungen anzubieten“, kündigte Thiele an. Viele der vor Ort lebenden Menschen schätzten jede Art von Besuch „und die Möglichkeit, ihre besondere Welt vorzustellen“. Die beiden Führungen erbrachten den Beweis.

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