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21.08.2023
Hospiz Nagold HosNa

Ein besonderer Moment: Hochzeit im Hospiz

NAGOLD – Oliver Bürner ist unheilbar krebskrank. Im Hospiz St. Michael hat der 55-jährige jetzt seine langjährige Freundin Martina Lessel geheiratet. Seine Botschaft: „Ich möchte anderen Menschen Mut machen.“

„Alle Freunde und Verwandten haben uns unterstützt“, freut sich Oliver Bürner über seine Hochzeit mit Martina Lessel im Hospiz St. Michael.

„Man wird immer wieder überrascht vom Leben.“ Dieser Satz sagt sich leicht dahin. Wenn ihn aber Oliver Bürner sagt, ist er bitterer Ernst. 2014 hat der heute 55-Jährige Nagolder seine erste Krebsdiagnose bekommen. Was folgte, war eine lange Zeit mit Operationen, Chemotherapie, Medikamenten – und Hoffnung: „Nach neun Jahren dachten alle: Da kommt nichts mehr.“

Aber der Krebs kam doch zurück – schlimmer als je zuvor und in einer zweiten Variante: „Zum Adenokarzinom kam ein neuroendokrines Karzinom“, Oliver Bürner ist über das vergangene Jahrzehnt hinweg zwangsweise zum Onkologie-Experten geworden. Als solcher weiß er aber auch, dass sein Körper dieses Mal den Kampf verloren hat: Mischtumoren aus beiden Krebsarten haben an vielen Stellen Metastasen gebildet. In den letzten 16 Monaten hatte Bürner 14 Mal einen Darmverschluss und wieder mehrere Operationen. Erneut in die Chemo? „Das wollte ich nicht noch einmal durchmachen“, sagt er.

Heute arbeitet der Darm von Oliver Bürner nicht mehr. Er bringt viel Zeit im Bett zu, bewegt sich meistens im Rollstuhl, lebt mit einer Ablaufsonde im Magen und mit einer PCA – einer Pumpe, die ihn dauerhaft mit Morphin versorgt. Wenn die Schmerzen trotzdem zu stark werden, kann sich Bürner selbst schnell Linderung verschaffen: ein Druck auf einen blauen Knopf bringt ihm eine Extra-Dosis des Opiats.

„Eine gute Schmerztherapie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Es geht dabei immer um die Lebensqualität unserer sterbenskranken Gäste“, sagt Simone Grünke. Die Palliativ-Spezialistin ist Pflegedienstleitung im Hospiz St. Michael in Nagold. Am 7. Juli ist Oliver Bürner hier eingezogen.

Das ging nicht von heute auf morgen. „Beim Thema Hospiz habe ich zuerst an Klöster und dicke Mauern gedacht“, gibt Oliver Bürner zu. „Aber zum Glück gibt es ja das Internet.“ Er recherchierte ausgiebig. „Und als meine Ärztin gefragt hat `Wäre ein Hospiz nicht etwas für Sie?´ - da war ich vorbereitet.“ Seine Entscheidung hat er nicht bereut: „Ich habe mich hier vom ersten Tag an willkommen und geborgen gefühlt.“

Oliver Bürner hat eine Gabe: Er kann frei und ohne Vorbehalte über seine Situation sprechen. „Wie lange es noch geht? Zwischen sechs Tagen und sechs Jahren habe ich alles gehört“, meint er. „Schon vor Jahren gab es Ärzte, die verwundert waren, dass sie mich noch einmal wiedergesehen haben. Ich bin ein Kämpfer - und ich möchte anderen Menschen Mut machen.“ Sein Motto: „Ich denke nicht darüber nach, wie lange es noch geht – ich will einfach glücklich sein.“

Spätestens hier kommt Martina Lessel ins Spiel. Während Oliver Bürner spricht, sitzt die 43-jährige Kinderpflegerin bei ihm auf der Bettkante. Wie jeden Tag. Die beiden kennen sich schon 25 Jahre. Seit Oktober 2018 sind sie zusammen. Und am 10. August sind sie den Bund der Ehe eingegangen. Im Hospiz.

„Wir wollten eigentlich schon lange heiraten“, erzählt Martina Lessel. „Und wir haben immer gedacht: Das kann ja noch warten.“ Erst kam Corona, dann kam der Krebs zurück – eigentlich keine Zeit für eine Eheschließung. „Aber jetzt hat meine Frau gesagt: Lass uns das machen“, meint Oliver Bürner – und er berichtet auch freimütig, dass er die eine Frage irgendwann doch gestellt hat: „Willst Du wirklich so einen Mann heiraten?“ Natürlich wollte sie. „Sie sieht in mir nicht den kranken Mann – sie sieht einfach mich.“ In seinen Augen ist abzulesen, dass ihm das alles bedeutet.

Viel Zeit hatten die beiden nicht. Niemand konnte und kann sagen, wie lange Oliver Bürner noch lebt. Es musste also schnell gehen. Das Standesamt machte mit, hier ist eine ärztliche Bestätigung für eine Nottrauung erforderlich. Und eigentlich sollte ja alles im ganz kleinen Rahmen stattfinden. „Wir wollten nur zu zweit feiern – in Jeans“, lächelt Oliver Bürner. „Aber dann haben wir schnell festgestellt: Ohne Eltern ist doch blöd. Ohne Geschwister ist doch blöd. Und ohne Freunde ist doch eigentlich auch blöd.“

Am Ende waren es 50 Festgäste, die mit dem Brautpaar zusammen feierten. Geht so etwas überhaupt: im Hospiz Hochzeit feiern? „Selbstverständlich geht das“, betont Pflegedienstleitung Simone Grünke. „Natürlich sind Tod und Trauer hier ständig präsent. Aber ein Hospiz ist auch ein Ort der Freude. Unser Team war sofort begeistert.“ Eine klare Bedingung gab es: Die anderen Hospizgäste dürfen nicht behelligt werden. Weil das Hospiz St. Michael zweigeschossig ist und alle Gästezimmer im Untergeschoss sind, konnten sich Martina Lessel und Oliver Bürner im Raum der Stille im Obergeschoss das Jawort geben.

Gefeiert wurde mit allem Drum und Dran: Mit Catering, mit Musik und mit einem Truck vor der Tür. Oliver Bürner ist LKW-Fahrer – seine Kollegen hatten zur Trauung extra eine Zugmaschine mitgebracht. „Alle Freunde und Verwandten haben uns unterstützt“, freut er sich. „Und als ich Martina im weißen Kleid gesehen habe, sind mir die Tränen gekommen.“

Bei Oliver Bürner hat die Trauung noch einmal große Kräfte freigesetzt: „Es ist, als könnte ich schweben.“ Die Kraft brauchte er auch für sein ganz spezielles Hochzeitsgeschenk: „Für mich war klar: Ohne Antrag geht es nicht.“ Sie wusste davon nichts: „Als am Morgen der Hochzeit der Brautstrauß kam, wollte ich ihn schon entgegennehmen“, erinnert sich Martina Lessel. „Da hat er ihn mir weggenommen und ist vor mir auf die Knie gegangen. Eine wunderschöne Überraschung.“ Man wird eben immer wieder überrascht vom Leben.

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