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01.10.2008
Fachdienst Offene Hilfen, Ehingen

Drei Zimmer, Küche, Bad ...

Waschen, Staub saugen, einkaufen, Müll trennen ... alles am Abend nach der Arbeit. Wer hat dazu schon große Lust? Wohl kaum jemand. Und doch: Jürgen Stützle ist es eine Freude. Denn für ihn bedeuten diese lästigen Hausarbeiten Freiheit. Eine Freiheit, die er sich lange ersehnt hat und die ihm „Wohnen in der Gemeinde – Hilfemix“ ermöglicht, ein des Diözesancaritasverbandes, das von der Aktion Mensch finanziert wird.

Jürgen Stützle ist 39 Jahre alt, fast 40 und somit im besten Schwabenalter. „Zeit um endlich in einer eigenen Wohnung zu leben, oder?“, findet er und lacht schelmisch. Doch was für andere selbstverständlich ist – eine Wohnung suchen, Kisten packen, einziehen und ankommen – war für ihn ein langer Weg. Jürgen Stützle sitzt aufgrund einer halbseitigen spastischen Lähmung schon sein ganzes Leben im Rollstuhl. Den größten Teil davon lebte er in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. „Ich wollte endlich raus, nicht ständig andere Leute und Mitarbeiter um mich herum haben“, erklärt er sein Bedürfnis nach den eigenen vier Wänden. Die Wohnungssuche war nicht einfach. Behindertengerecht musste die Wohnung sein, die Miete bezahlbar und in einer Umgebung, die Jürgen Stützle jene Hilfen garantieren konnte, die er benötigt. Im Dachgeschoss des Coletta-Deußer-Hauses in Ochsenhausen fand er schließlich nach fünf Jahren Suche die für ihn passende Wohnung.

Ende März dieses Jahres war es dann soweit: Zusammen mit Paul Talecker, seinem Mitbewohner, ist Jürgen Stützle in die Drei-Zimmer-Wohnung eingezogen. Jeder der beiden hat sein eigenes Zimmer, das große Wohn-Esszimmer mit offener Küche nutzen sie gemeinsam, ebenso das Bad. „Wir sind eine WG. Wir leben nicht nur zu zweit hier, wir ergänzen uns auch und teilen uns die Arbeit“, sagt Jürgen Stützle und geht ins Detail: „Ich wasche die Wäsche, der Paul hängt sie auf den Wäscheständer, weil ich das vom Rollstuhl aus schwer kann. Dafür staubsauge ich und sortiere die Wertstoffe, und Paul wischt den Boden und spült das Geschirr. Das klappt alles wunderbar. Wenn wir abends nach dem Schaffen heimkommen, machen wir den Haushalt.“  Die beiden Männer arbeiten in den Werkstätten der Heggbacher Einrichtung. Dort essen sie während der Woche auch.

Dass Jürgen Stützle seinen Traum verwirklichen und selbstständig leben kann, ist dank des Modell-Projekts „Hilfe-Mix – Wohnen in der Gemeinde“ möglich. Dabei greifen Im Alltag verschiedene Hilfen ineinander. So kommt dreimal wöchentlich ein Pflegedienst zu Jürgen Stützle, der ihm beim Baden und Duschen hilft. Jeweils am Samstag kommt morgens eine Familienpflegerin zum Einkaufen und um beim Kochen fürs Wochenende zu helfen.

Auch Sabine Assfalg, Mitarbeiterin des „Ambulant betreuten  Wohnens" aus dem Bereich der „Offenen Hilfen“ von den Heggbacher Einrichtungen, besucht Jürgen Stützle regelmäßig, um mit ihm seine Termine wie zum Beispiel die der Krankengymnastik zu koordinieren, Fahrdienste zu organisieren und für eventuell auftretende Probleme Lösungen zu finden. Sie ist seine Case Managerin innerhalb des Projekts.

Und sie kennt die Tücken seines Alltags. Zum Beispiel welche Schwierigkeiten es Jürgen Stützle bereitet, bestehende Freundschaften aus seiner alten Umgebung in Laupheim zu pflegen. Sie sagt: „Wir setzen uns einfach ins Auto und fahren los. Wenn Jürgen seine Fußballkumpels in Bronnen treffen möchte, muss erst jemand organisiert werden, der ihn dort hin bringt und später wieder abholt. Das ist nicht immer einfach.“ Aber, so ergänzt sie: „Dadurch, dass Jürgen hier in Ochsenhausen neu zugezogen ist, ist es für ihn schon wichtig, dass er sowohl seine alten Freundschaften pflegen und gleichzeitig hier neue Kontakte knüpfen kann. Auch dafür ist der Hilfe-Mix da.“

Jürgen Stützle meint selbst dazu: „Ich habe ja nicht nur den Wohnort, sondern auch meinen Arbeitsplatz von den Laupheimer Werkstätten nach Heggbach gewechselt. Alles war neu. Aber inzwischen habe ich hier in Ochsenhausen meine Wirtschaften gefunden, wo ich mit dem Rolli keine Probleme habe, und ich gehe jetzt auch schon mal gerne in Begleitung weg. Überhaupt: Ich bin so glücklich und zufrieden wie noch nie. Ich möchte nicht mehr zurück ins Heim. So selbstständig leben, das ist einfach toll.“

„Hilfe-Mix“ ist eine Vernetzung von verschiedenen professionellen und ehrenamtlichen Diensten: Neben den Heggbacher Einrichtungen – für Menschen mit geistiger Behinderung - war auch das Gemeindepsychiatrisches Zentrum (GPZ) Biberach – für Menschen mit psychischer Erkrankung - am Projekt beteiligt, Kooperationspartner im Bereich der Familienpflege war die Sozialstation Ochsenhausen, in der Nachbarschaftshilfe waren die regionalen Ortverbände tätig. Ziel war es, mit flexiblen, am Bedarf des Einzelnen ausgerichteten und alltagsbezogenen Hilfen eine Alternative zum Leben in stationären Einrichtungen darzustellen. Über das Ziel der erweiterten sozialen Teilhabe hinaus bietet dieses Konzept die Chance, dass auch Menschen mit höherem Hilfebedarf, die bisher nur stationär versorgt werden konnten, ein Wohnen in der Gemeinde möglich wird. Die Effektivität von Case Management, Beratung und individuell angepassten Betreuungsformen in den Bereichen Alltagsbegleitung, hauswirtschaftliche Hilfen und Freizeitgestaltung wurde in Ochsenhausen beispielhaft umgesetzt. Das Projekt lief drei Jahre lang und wurde über die Uni Tübingen durch Dr. Heidrun Metzler wissenschaftlich begleitet. Kostenträger war das Landratsamt Biberach, das die Projektidee auch weiterhin unterstützt. Die Aktion Mensch hat 1,6 Stellen über drei Jahre finanziert und das Projekt Hilfe-Mix damit erst möglich gemacht.

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