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09.09.2022
Altenhilfe

Mehr Zeit für die Pflege statt immer mehr Bürokratie

Altshausen/Bad Waldsee – Der Ärger in den Pflegeeinrichtungen über die Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes schwelt schon eine Weile, nun brachte die St. Elisabeth-Stiftung ihre Missstimmung im Rahmen einer bundesweiten Protestaktion zum Ausdruck und forderte ein Umdenken der Politik. Einen Tag vor der Abstimmung zum Infektionsschutzgesetz im Bundestag versammelten sich zahlreiche Mitarbeiter, Bewohner, Mieter, Angehörige und Nachbarn beim Wohnpark am Schloss in Bad Waldsee und beim Wohnpark St. Josef in Altshausen, um mit Reden und Plakaten auf die Mehrbelastungen der Pflegeeinrichtungen durch Bürokratie aufmerksam zu machen.

In Bad Waldsee haben sich ca. 130 Personen an der Aktion beteiligt Bild: Simon Eitel / St. Elisabeth-Stiftung

Bei der Protestaktion gegen das Infektionsschutzgesetz saßen und standen Pflegerinnen und Pfleger Seite an Seite mit Bewohnern und Mietern der Wohnparks. Sie hielten Plakate vor sich, die die verfahrene Situation in den Einrichtungen darlegten: „Mehr Menschlichkeit und weniger Bürokratie“, „Pflegt nicht die Dokumente, sondern uns“, „Unsere Belastungsgrenze ist erreicht“ oder „Wir lieben unseren Beruf - wenn wir ihn ausüben dürfen“.

Konkret ging es um die Mehrbelastungen, die durch das Infektionsschutzgesetz die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen lahmlege. „Während Corona in der Mitte unserer Gesellschaft keine Rolle mehr spielt und das soziale Leben wieder ohne Einschränkungen möglich ist, ist die Situation bei uns in den Wohnparks und Pflegeheimen unverändert“, haderte die Wohnparkleiterin in Bad Waldsee, Laura Heber, und führte aus: „Mitarbeitende und Besuchende müssen sich testen lassen und Nachweise müssen kontrolliert und dokumentiert werden. All das ist mit erheblichem bürokratischem Mehraufwand verbunden.“

Das überarbeitete Infektionsschutzgesetz, über das am 8. September im Bundestag abgestimmt wird und das ab dem 1. Oktober gelten soll, sehe vor, dass die Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen wie bisher bestehen bleiben sollen, diese aber teilweise bereits schon jetzt nicht mehr refinanziert werden. Die Politik fordere daher von den Pflegeeinrichtungen, dass sie die Maßnahmen weiterhin umsetzen und erheblichen Mehraufwand leisten, ohne dafür eine finanzielle Erstattung zu bekommen.

„Wir befürchten, dass für die Versorgung unserer Bewohnerinnen und Bewohner künftig noch weniger Zeit bleibt, weil die Mitarbeitenden für bürokratische Maßnahmen wie beispielsweise das Prüfen und Dokumentieren von Test und Impfnachweisen eingesetzt werden müssen“, bringt Laura Heber die Problematik auf den Punkt. Um diese aufwendigen Kontrollen zumindest bei der Protestaktion zu vermeiden, haben sich die ca. 130 Teilnehmer bewusst und symbolisch im Freien auf dem Rasen vor den Wohnparks getroffen.

Laura Heber forderte eine Entlastung der Pflege durch die dauerhafte und sichere Refinanzierung der Corona-Schutzmaßnahmen. „Schaffen Sie die Rahmenbedingungen, die wir brauchen, um den Beruf, den wir lieben, ausüben zu können“, sagte Heber, „wir wollen schlichtweg die Zeit für unsere eigentlichen Aufgaben verwenden, nämlich die Pflege und Betreuung der uns anvertrauten Menschen.“ Denn der notwendige Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner sei schließlich nicht alleine Aufgabe der Pflege! Und so brauche es eine gesamtgesellschaftliche und politisch geförderte Solidarität.

Weiterhin forderte Heber Planungssicherheit in der Pflege durch die dauerhafte, auskömmliche und sichere Refinanzierung von Hygiene- beziehungsweise Infektionsschutzmaßnahmen, entkoppelt von der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, damit Pflege-Einrichtungen die Corona-Schutzmaßnahmen weiterhin umsetzen können und dem vertraglich festgelegten Auftrag der Pflege und Betreuung ungehindert nachkommen können. Zudem forderte sie einheitliche Vorgaben in allen Bundesländern für Zutrittsberechtigungen ohne Ausnahmeregelungen zur Vermeidung unnötiger Bürokratie.  Testen, Impfen und Maskenpflicht dürfe nicht nur in der stationären und teilstationären oder ambulanten Pflege gelten. Mit einem Appell an die Politiker in Berlin verlieh Laura Heber ihren Forderungen nochmals Nachdruck: „Schaffen Sie die Rahmenbedingungen, die wir brauchen, um unsere Bewohnerinnen und Bewohner gut pflegen und versorgen zu können!“

„Wir wollen unseren Pflegeauftrag erfüllen“, sagt auch Sandra Salditt, Leiterin des Wohnparks St. Josef in Altshausen. „Bei uns werden alle Vorgaben pflichtgemäß umgesetzt. Wir haben Probleme mit Personalmangel und hohen Krankheitsquoten. Die Mitarbeitenden sind ausgezehrt. Die zusätzliche Belastung durch die Eingangskontrollen macht es uns schwer, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Dann sollte der Aufwand zumindest refinanziert werden.“

Große Begeisterung löste Salditt bei den Zuhörern auf dem Rasen vor dem Wohnpark aus, als sie die Politiker in Berlin einlud, „mal die Eingangskontrollen für uns zu übernehmen oder mal eine Woche in der Pflege mitzuarbeiten.“ „Gern auch länger“, rief eine Mitarbeiterin dazwischen. Der Aufforderung „Ruft mal nach Berlin!“ kamen die rund 85 Teilnehmer der Protestaktion in Altshausen lautstark nach: Mit Stimmen, Trommeln, Schlaghölzern und Schellen.

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